gravity’s pull, booklet, 24 pages, 147×208 mm, edition of 150, 2019 order here
Evgenija Wassilew & Peter Strickmann, interview: Jörg Hasheider
JH
Wo seht ihr Gemeinsamkeiten und Unterschiede eurer Arbeitsweisen, die ja in letzter Zeit auch in gemeinsame Werke eingeflossen sind? Vieleicht könnt ihr in diesem Zusammenhang auf die, im Vorgespräch erwähnte, “Wesenhaftigkeit” eurer Werke eingehen?
EW
Formal gibt es viele Parallelen, die uns schon zu Beginn unserer Bekanntschaft vor drei Jahren aufgefallen sind. Aber auch inhaltlich, z.B das Interesse an Sprache, Sprachklang, das Sprechen als alltäglicher wie auch künstlerisch motivierter Akt. Schließlich auch eine besondere Hinwendung zum Absurden, im Sinne von: das, was nicht möglich erscheint, geschehen zu lassen, mit einer Ernsthaftigkeit, die über die ursprüngliche Intention hinausgeht – deswegen wirken die Arbeiten niemals ironisch oder aufdringlich, schon gar nicht didaktisch: der ihr innewohnende Humor erschließt sich auf den zweiten Blick. Unsere Arbeitsweisen hingegen unterscheiden sich schon. Peters Arbeiten sind spontan, von einer großzügigen Leichtigkeit. Mein Arbeitsprozess ist eher aufwändig – auch in meinem Kopf – ich entwickele die Werke auf eine etwas kompliziertere Art, betrachte sie auch immer als mögliche Projektionsfläche des menschlichen Körpers, der menschlichen Psyche. Aber auch hier empfinde ich Verbindungen. Man könnte in der Ausstellung den einzelnen Objekten Charaktereigenschaften zuschreiben und entwickelt schnell ein empathisches Gefühl für sie. Wir beide arbeiten hier mit Wasser und Luft: Ich denke bei „Ressac“ an Atmung, aber auch an die Gefahr des Ertrinken, an ein Gefühl des Ausgeliefertseins. Darin schwingt aber auch eine doppeldeutige Sehnsucht, ein schwer zu fassendes Gefühl im Angesicht der Unendlichkeit des Meeres. Und dann plätschert plötzlich eine winzige Welle lautstark gegen den Trompetentrichter, das Kupferrohr tickt gegen einen Stein oder kratzt gegen eine Muschel und alles ist ohrenbetäubend konkret. Hier in der Ausstellung hängt jetzt das Instrument, auf halber Höhe und in den Videos wechselt die Spur von der Horizontalen in die Vertikale: das ist auch nochmal etwas ganz anderes. Innerhalb einer einzigen Arbeit finden mehrere Perspektivwechsel statt.
PS
Und wenn du, Jörg, nach der Wesenhaftigkeit fragst, dann finden wir sie genau dort bei „Ressac“: der Trompetentrichter wird in der Brandung vom Wasser bewegt und doch scheint es in dem Video als bewege er sich nicht komplett ohne Eigensinn. Stellenweise wirkt er sehr lebendig. In der Installation dann, sehr deutlich und direkt, ist es der Klang der die zwei Rohre lebendig werden lässt. Solche Details sind mir in meiner eigenen Arbeit auch sehr wichtig. Ich will die Dinge und Objekte zur Aufführung bringen, will sie nicht nur zur Schau stellen, sondern mit Zeit und Aktivität, mit einem Eigenleben ausstatten. So, dass die Dinge das sind, was sie tun und wie sie es tun. Hier in der Ausstellung performen die Deckel meiner Installation verschieden hektische, chaotische oder plumpe Bewegungen. Heisst: sie bewegen sich. Gemeinschaftlich. Bilden ein Ensemble aus Ereignissen. Und man selbst, also als Publikum, teilt dieselbe Zeit, denselben Ort mit jenen performenden Objekten. Man kommt oftmals kaum umhin, den wackelnden Deckeln Charaktereigenschaften anzudichten. Sie sind dann genauso anwesend wie ich als Publikum. Im besten Fall werden sie zu einem ernst genommenen Gegenüber. Wir weilen auf demselben Boden, in derselben Tageszeit, in derselben Temperatur. Ich empfinde, dass jene Gleichzeitigkeit von Selbst und Gegenüber in irgendetwas sehr Grundsätzlichem rührt. Habe dafür bis dato keine Worte, aber irgendein Moment in dieser Direktheit des Geschehens, auch in der Nachvollziehbarkeit der Geschehnisse, beschäftigt mich unaufhörlich und schafft es mich immer wieder zu überraschen.
JH
Ein wenig auf die Gleichzeitigkeit eingehend: In Peters Arbeit „Klack Ding“ ist eine Gleichzeitigkeit von Bewegung, Klangerzeugung und Rezeption gegeben. Bei „Ressac“ hingegen, liegt eine aufgenommene, konservierte Tonspur vor, deren Aufnahme durch eine Videoaufzeichnung verortet und in den Ausstellungsraum transferiert wird. In der Gleichzeitigkeit der Präsentation entsteht ein irritierender, schwer zu definierender ZeitRaum. Möchtet ihr diesen Aspekt konzeptuell weiterverfolgen?
PS
Oh ja, das stimmt, diese verschiedenen Zeitlichkeiten treffen in der Ausstellung aufeinander. Das war zwar absehbar, allerdings war es mehr eine Herausforderung und weniger ein Aspekt den wir zentral behandeln wollten. Zeit und Zeitlichkeit spielen immer eine wichtige Rolle und diese Komplexität ist tatsächlich wunderbar, aber es ist ja auch so, dass wir „Klack Ding“ und „Ressac“ völlig getrennt voneinander an verschiedenen Orten und für verschiedene Räume entwickelt haben. Jetzt sind sie überraschend eins geworden. Und natürlich, wie man so schön sagt: zu mehr als zu der Summe ihrer Teile.
EW
Die Ausstellung im Hochparterre war für uns eine Gelegenheit, diese schon bestehenden Arbeiten in Dialog zu setzen. Anders ist es bei „être vent“, einer performativen Arbeit, die wir im Rahmen unseres Aufenthaltes in Turku schon Ende 2017 gemeinsam entwickelten. Sie hat uns zu ähnlichen Fragestellungen geführt wie du sie erwähnst: halten wir die Performance als mikrofoniertes Ereignis im Videobild fest? Oder ist sie nur live zu erleben? Die Arbeit hat sich unter diesem Aspekt in zwei Richtungen entwickelt – als durch Performer aufgeführtes, live zu erlebendes Moment, und als dokumentierte Aktion, in der Peter und ich ein Geräusch an verschiedenste Orte bringen. So steht die formale oder strikt konzeptuelle Entscheidung nicht immer gleich im Vordergrund. Meine Arbeit hat auch viel mit Erinnerung und Vorstellung zu tun. So ist die Klangspur immer Spur eines Ereignisses – wie eine Ruine, das Teilstück eines Ganzen, ein verblassender Schatten, das Räuspern nach einem wichtigen Gespräch.
JH
Schön, dass ihr eure Performances erwähnt! Bei einer weiteren Performance zum Abschluss der Ausstellung kam eine große Vielfalt einfachster Klangerzeuger wie Teekanne oder Glasmurmeln zum Einsatz, aber auch hochtechnisierte Smartphone Apps. Mit ihnen konntet ihr ein immer überraschendes aber auch überaus stimmiges Klangbild erzeugen. Könnt ihr etwas zur Entstehung eurer Set-ups sagen?
EW
Die Sound-Happenings mit Peter entstanden auf seine Einladung hin. So habe ich bislang ein kleines Repertoire von minimalen, skulpturalen Objekten entwickelt, die einen Klang durch präzise Bewegungen zulassen: eine dünne Glasscheibe mit Wodka, die ich zum „Schreiben“ von Geräuschen verwende und ein flacher MDF Sockel, der durch meine kaum sichtbare Verschiebung einen defekten Türalarm moduliert. Die flüsternde Trillerpfeife ist eine Reminiszenz an „être vent“…
PS
Wir verwenden also beide überwiegend simpelste Methoden um Geräusch und Klang zu erzeugen. Mein Set-up besteht aus selbst gebauten Instrumenten wie zum Beispiel ein Dachlattensaxophon, ein Keramophon und diverse Feedbacks, sowie aus einfachen Objekten und Gegenständen, beispielsweise einer bauchigen Teekanne, einem präparierten Schlagzeugbecken, Smartphone, Elektrokäfer, Erbsen, Kugeln, Ronden und Büchsen. Einige der Objekte sind so präpariert oder ausgewählt, dass sie ein eigenständiges Klangverhalten besitzen. So kann ich mit ihnen dialogisch spielen und finde in ihnen ein musikalisches Gegenüber, was vor allem beim Solo interessant ist. In Summe ist das alles auch eine große Vielfalt an Geräusch und Klang. Wenn ich mit Evgenija performe ist es dann fokussierter. Die Auswahl ist bereits vor dem Improvisieren getroffen, zwar nicht fixiert in der Zeit oder sonstwie, aber der Haushalt unserer Klangfarben ist in großen Teilen abgestimmt.
EW
Was du mit der Smartphone-App meinst, ist bei mir die Rückkopplung einer rudimentären Mikrofon App, die durch vorsichtiges Anpusten des Mikros an ihre technischen Grenzen stößt. Es ertönt ein sturmähnliches Geräusch, ich halte es in einem Lautsprecher geschlossen in meiner Hand. Ich fühle den Klang und öffne die Hand ein bisschen… der Lautsprecher bebt so sehr, dass ich das Gefühl habe, er lebt.
PS
Ich nutze eine Synthesizer-App auf meinem Telefon. Ich halte mir den Lautsprecher des Telefons vor den geöffneten Mund und spiele gehaltene Sinustöne. Meine Mundhöhle, die ich verschieden weit öffne, wird zum Resonanzraum, der die Töne deutlich verstärken kann. Das sind zwei einfache Techniken, wie wir diese Telefone, diese Apps quasi mit Hand und Mund erweitern. Da ist auch die Sprache und das Sprechen nicht fern. Ein Thema, das uns beide schon lange beschäftigt. Im Klang von Evgenija’s Glasscheiben wird das besonders deutlich. Genauso wie sich jene Qualitäten von Stimmklang und Sprachdynamik bei meiner vereinfachten Alurohrschalmei, bei meiner Chalumeau oder bei den Feedbacks wiederfinden. Da kommen wir klanglich tatsächlich sehr zusammen. Es darf auch mal geschrien werden oder gehustet, geflüstert, gejammert, das alles können unsere Instrumente.
JH
Klang ist oft nur in der Bewegung im Raum vollständig zu erfahren. Könnt ihr, um abschliessend einen Eindruck zu vermitteln, einen Weg durch eure Ausstellung beschreiben?
PS
Ein Weg durch die Ausstellung… Er ist auf jeden Fall ein anderer geworden als wir vorab geplant hatten. Wie gesagt, ist die Akustik im Hochparterre wirklich speziell, sehr viel Hall, alles kleine wird groß, alles fliegt wild durcheinander, überall hin. Das war die große Herausforderung, weil wir beide mit offenem Klang arbeiten wollten. Wir mussten also vor Ort unsere mitgebrachten Klänge drastisch umorganisieren. Evgenija hat ihre Komposition überarbeitet, ich habe Deckel aus anderen Materialien und in anderer Stückzahl verwenden müssen und den Luftdruck etwas runter reguliert. Insgesamt heißt das dann jetzt: weniger ist besser. Die Schwierigkeit war nur, den Klängen etwas Transparenz, etwas Luft, etwas Zeit zu lassen.
EW
Es gibt akustische und visuelle Wegweiser durch die Räume des Hochparterre. Man wechselt aus der Vogelperspektive in die eines Sandkorns, beugt sich und kniet, hält die Ohren an Öffnungen und sucht die Herkunft der Geräusche; die platzenden Luftblasen unter Peters Fundobjekten, die Spuren und Kratzer des Salzwassers am Kupferrohr und Messingtrichter. Das Zusammenspiel der Arbeiten ist immer anders und ihre narrative Dimension öffnet einen unkontrollierbaren Vorstellungsraum.
PS
Uns ist auch aufgefallen, dass es einigen Besuchern schwer fällt die genaue Quelle der Geräusche zu erkennen. So wird der Weg durch die Ausstellung in den beiden hellen White Cubes oft zu einer suchenden Hörbewegung zwischen Raumklang und Detailgeräusch, und das, obwohl die Räume eher klein sind.
JH
Ich danke für das Gespräch.